Das Konzept

Voraussetzungen

Der Auftraggeber Theo Mayer-Kuckuk hatte nach einem USA-Aufenthalt den Ruf als Professor für theoretische Physik an die Universität Bonn bekommen. In Bad Honnef war ihm in der Böckingstrasse ein Erbpachtgrundstück der zur Universität gehörenden Hölterhoff-Böckingstiftung zur Bebauung zur Verfügung gestellt worden. Nach den Erschließungskosten blieben noch etwa 80.000 DM, die für den Hausbau reichen sollten.

Die Vorstellungen des Bauherrn waren geprägt vom Fortschrittsglauben einer mobilen Gesellschaft, die neue angemessene Wohn- und Lebensformen forderte. Mit Wolfgang Döring und seinen Visionen neuer Siedlungs- und Produktionsformen fand sich der ideale Planer.

Der stellte die Bedingung, beim Bau - im Rahmen der Bauordnung - völlig freie Hand zu haben. Der Bauherr gab die Funktion und Zahl der Räume vor, dabei allerdings auch den Kostenrahmen. Die zur Verfügung stehende Summe bedeutete einerseits eine Beschränkung, zwang andererseits aber zu neuen Überlegungen.

Wolfgang Döring sah in der klassischen, der künstlerischen Vision verpflichteten Architektur keine Lösungsmöglichkeiten mehr für die Anforderungen der Zukunft. Er forderte ein radikales Umdenken, statt in Architektur-Kunst-Schulen den Umgang mit traditionellen Materialien zu lernen, verwies er auf den technologischen Fortschritt in anderen Produktionsbereichen mit ihren neuen Werkstoffen und Fertigungsmethoden. Er forderte neue Modelle von Raumstrukturen zu entwickeln, mit neuen Werkstoffen und neuen Methoden industriell hergestellt. Er forderte eine aktive Teilhabe der Architektur an den technologischen Prozessen, auch um sie für ihre Zwecke beeinflussen zu können.

"Wir müssen all das abwerfen, was wir bisher gelernt haben. Tun wir das nicht, werden wir die Erfahrung machen müssen, daß der Beruf des 'Architekten' nicht mehr lange existieren wird ... Die wissenschaftlich-technische Perfektion ist eine der wesentlichen Voraussetzungen, um zu richtigen Resultaten zu kommen. Erst bei völliger Beherrschung der technischen Fakten und der Erkenntnis ihrer Zusammenhänge ist es möglich, Dinge zu Räumen zu ordnen. Aus den Mitteln und Kenntnissen wird sich bei intensiver Beschäftigung eine neue Sprache entwickeln können zu bisher unbekannten Grenzen." 1)


Theo Mayer-Kuckuk war als angesehener Kernphysiker Mitwirkender an der technologischen Entwicklung, folgerichtig entwickelte Döring ein Konzept, das der eigenen fortschrittlichen Sicht entsprach und das angemessen für den Auftraggeber war. "Ich habe ungewöhnlich intensive Überlegungen angestellt und Untersuchungen durchgeführt, um die wirtschaftlichste Konstruktion für dieses Haus zu finden ... Wir haben lange darüber diskutiert, sehr anregende Gespräche über Architektur und Physik miteinander geführt."
2)

Die moderne, fortschreitende Gesellschaft und die Veränderung der Produktionsformen verlangte nach neuen Gesellschafts- und Lebensformen. Arbeitsteilung und Spezialisierung hatte räumliche Dezentralisierungen und wechselnde Konzentrationen der Wissens- und Produktionsentwicklungen zur Folge. Der tätige Mensch wird Teil dieser Entwicklung, Arbeitsplatz- und Wohnortswechsel werden selbstverständlich, es entwickelt sich der Begriff der mobilen Gesellschaft. Auch dieser Entwicklung suchte Döring Rechnung zu tragen. Das Wohnhaus der Zukunft nicht als Heim für Generationen, sondern als Teil einer Biografie, es ist da, wo der Bewohner es braucht.

Döring sieht das Wohnhaus der Zukunft auch wirtschaftlich als Gebrauchsartikel: "Bei Automobilen rechnet man mit einer Amortisationszeit von vier Jahren - und bei Häusern von fünfzig Jahren. Und Häuser sind damit selbstverständlich die technologisch rückständigsten Industrieprodukte. Es ist also in der Konsequenz dringend notwendig, das Produkt 'Haus' in seiner Lebenszeit drastisch zu verkürzen, um seinen Amortisationszeitraum herabzusetzen, um es damit für Forschung und Entwicklung attraktiv machen zu können und auf diese Weise dann zu entscheidenden Verbilligungen zu gelangen." 3)

Dörings Plädoyer für die industrielle Fertigung auf hohem technologischen Niveau zielt auf eine besondere Wirtschaftlichkeit, allerdings nicht in dem Sinne, möglichst billigen Wohnraum zu erstellen "durch äußerste Simplifikation des Bauens. Die Ergebnisse sind die Slums von morgen: die Häuser der Wohnungsbaugesellschaften, die sich damit brüsten, für 90 Mark pro Quadratmeter konventionelle Häuser zu bauen." 4) "Die Produktion von Standards auf der Grundlage des ökonomischen Prinzips (größtmöglicher Nutzen und größtmöglicher Gewinn mit geringstmöglichem Einsatz) führt zu einer inhumanen Gleichförmigkeit gebauter Umwelt, zu einer Pollution durch Bauen." 5)

Dem setzt Döring seine Überzeugung entgegen, daß "ästhetische Verhältnisse nicht nur an einem Kunstwerk, sondern auch an einem technischen Gebilde realisiert werden können. (Max Bense)". 6) Für Döring ist "die Synthese der Technologie des Zivilisationsprozesses mit den Kategorien der Ästhetik unabdingbar." 7)

Anmerkungen
1) Wolfgang Döring: Technologie und die Zukunft der Architektur
In: Städtebau der Zukunft, Hrsg. Lauritz Lauritzen
Econ Verlag, Düsseldorf 1969, S. 301
2) Heinrich Klotz: Architektur in der Bundesrepublik
Ullstein Verlag, Frankfurt-Berlin-Wien 1977
S. 66 u. 69

3) Wolfgang Döring: Perspektiven einer Architektur
Suhrkamp Taschenbuch 109, Frankfurt 1970
S.111
Dieser theoretische Ansatz Dörings war im Jahr 1992 ein wichtiges Argument gegen die Unterschutzstellung des Hauses.
4) Wolfgang Döring: Technologie und die Zukunft der Architektur
a.a.O, S. 301
5) Wolfgang Döring: Perspektiven einer Architektur
a.a.O., S.11
6) Wolfgang Döring: Technologie und die Zukunft der Architektur
a.a.O, S. 303
7) Wolfgang Döring: Über die Situation der Architekten.
In: Rolf Wedewer, Thomas Kempas: Architektonische Spekulationen
Droste Verlag, Düsseldorf 1970
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